In der Praxis stellt sich derzeit immer wieder die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten gegen einen Bußgeld bestehen, der aufgrund eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Abstandspflicht ergangen ist.
Es handelt sich um ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronaSchVO). Zunächst gilt grundsätzlich, dass gegen den Bußgeld binnen einer Frist von 2 Wochen ab Zustellung Einspruch eingelegt werden kann und muss.
Im Rahmen des Einspruch muss sodann die Rechtmäßigkeit des Bescheides geprüft werden. Hier ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt der richtige Sachverhalt zu Grunde gelegt wurde. Unter Umständen muss neben der Richtigstellung des Sachverhaltes auch ein bzw. müssen mehrere Zeugen benannt werden ( z.B. für die Tatsache, dass der Abstand eingehalten wurde, eine Maske getragen wurde).
Rechtlich muss die richtige Verordnung gefunden werden, d.h. je nach Bundesland und je nach Zeitpunkt des vermeintlichen Verstoßes. Die Verordnungen enthalten immer wieder unterschiedliche Regelungen, so dass hier ganz ein besonderes Augenmerk drauf gelegt werden sollte.
Sodann muss im Einzelnen eine taktische Vorgehensweise „erarbeitet“ werden. Hier gilt es unbedingt zu berücksichtigen, dass eine verfassungskonforme Auslegung geboten ist. So führt das AG Reutlingen im Urteil vom 03.07.2020 , Az.: 5 OWi 26 Js 13211/20 an: „… Überdies gebietet das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit eine einschränkende Auslegung. Würde auf das kumulative Erfordernis der objektiven feststellbaren Abstandsunterschreitung verzichtet, führte dieses Verständnis zum abstrusen, im Wortsinne „räumlich grenzenlosen“, tatbestandlich unbegrenzten und auch epidemiologisch nicht sinnvollen Ergebnissen und Verboten. Der Einkauf auf einem Wochenmarkt, das Warten auf einem Bahnsteig mit anderen Menschen, der Besuch in einem Supermarkt, der zufällig gleichzeitig mit mehr als zwei Menschen besucht ist, unterfiele, in der hier getätigten Auslegung der Stadt Reutlingen, dem Verbot und könnte mit einem Bußgeld sanktioniert werden. Ein besonderer ungeschriebener kommunikativer oder anderer subjektiver Aufenthaltswille kann, zum Zwecke der stets notwendigen Abgrenzung von erkennbar erlaubtem zu erkennbar verbotenem Verhalten, der Vorschrift in § 3 Abs. I gerade nicht entnommen werden. Auf die eine „innere Haltung“ der Personen oder den Zweck des Aufenthalts kann nicht ankommen, soweit nicht spezialgesetzliche oder allgemeine Vorschriften, beispielsweise des Versammlungsrechts, anwendbar sind. ….. Anderseits gebietet eine solch weite Fassung eine verfassungskonkretisierende Auslegung, um dem Bestimmtheitsgebot Genüge zu tun. Ohne diese Einschränkung, anhand verobjektivter äußerer Kriterien, wäre die schon bloße Anwesenheit mehrere Menschen oder eines Menschen in einem öffentlichen Raum (von unbestimmter Größe und Reichweite) nicht mehr von einer Ansammlung im Sinne der seuchenrechtlichen Vorschriften zu unterscheiden. Die bloße Anwesenheit eines Menschen, grundsätzlich ein Nichtstörer, im öffentlichen Raum unmittelbar zu untersagen, ermächtigt das Infektionsschutzgesetz in § 28 Satz 2 auch in der Fassung ab 28.03.2020 gerade nicht.“
Es erscheint somit im Ergebnis sinnvoll, den Bußgeldbescheid genau zu prüfen und abzuwägen, ob und wie dagegen vorgegangen werden kann bzw. sollte.
Gerne berate ich Sie im Einzelfall, wenn Sie einen Bußgeldbescheid erhalten und welche Rechte Sie haben.
Rechtsanwalt Dr. Stephan Schmelzer, Fachanwalt IT-Recht, Fachanwalt Arbeitsrecht, http://www.dr-schmelzer.com, Ostberg 3, 59229 Ahlen, Tel.: 02382.6646
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